Ideologie: (gr. Kw., etwa: »Ideenlehre«, danach »Inhalt einer solchen [Ideenlehre, d.h. nur mit Ideen, nicht primär mit Empirie arbeitenden Lehre]«): fehlerhaftes Gedankensystem (oder wenigstens gleichförmig wiederkehrende fehlerhafte Gedankenverbindung), welches gesellschaftliche Unterstützung (oder wenigstens Teilunterstützung) findet. –
Das bekannteste und wahrscheinlich elaborierteste Modell der ~ ist die Religion; daneben gilt aus historischen Gründen der Hegel'sche Idealismus (bzw. die idealistische Geschichtsauffassung) als ihr klassisches Modell, weil Marx und Engels ihre Ideologiekritik bzw. Ideologielehre hauptsächlich an letzterem Gegenstand entwickelten. Aber grundsätzlich ist jeder Denkfehler, dessen Ausarbeitung gesellschaftlich unterstützt wird, als ~ zu bezeichnen und zu begreifen. Mittel dieser Ausarbeitung, die hauptsächlich auf Zeitgewinn und eindrucksvollen Umfang ihres Produkts abzielt, sind mit unveränderlicher Gleichförmigkeit die Ehestreitstrukturen. ~n können in ihrem Ansatz sowohl sehr umfassend sein wie z.B. der Empiriokritizismus (Kant, Berkeley, Popper; auch altindische und altgriechische Vorformen) wie auch beliebig partikulär (z.B. der Pluralismus, die Lehre vom beschränkten Untertanenverstand oder die standardisierte Rechtfertigung irgendwelcher Wahlvorschriften oder Verfassungsartikel). Irrtümer, z.B. in den Wissenschaften (etwa der Geozentrismus, die Phlogistontheorie oder der Lamarckismus) sind dagegen keine ~n, auch wenn sie gesellschaftliche Trägerschaft finden; sie werden es jedoch, sobald sie standardisierte argumentative Sperren gegen erreichbares bzw. erreichtes besseres Wissen einbauen.
Marx und Engels heben als Charakteristikum der ~ hervor, daß sie [ein] »falsches Bewußtsein« sei, d.h. eines, das seine Ursprünge nicht kennt, sondern diese vielmehr für »eigene Gedanken« bzw. zwar von außen kommende, aber ausschließlich wegen ihres einleuchtenden Gehaltes freiwillig übernommene Gedanken hält. An dieser Stelle unterscheidet sich die ~ noch nicht von der Rationalisierung; wesentlich für ihren Unterschied zu dieser ist ihre gesellschaftliche Unterstützung (z.B. durch Gehälter für ihre Ausarbeitung und Verbreitung in Gestalt von Priesterämtern, Lehrstühlen, Lehrtätigkeiten, Zeitungen usw.), welche ihre Standardisierung sowohl erklärt wie auch entscheidend herbeiführt.
Nach Hoevels ist die Ideologie Ergebnis gesellschaftlicher Selektionsprozesse ihrer Träger, welche von der durchschnittlichen Sympathie oder Antipathie der Kontrolleure über die Multiplikatorstellen der Gedankeninhalte (»Meme« nach Dawkins) abhängt; anders als in der Dawkins'schen Theorie entscheidet also über die Selektion der Meme (verlaufend über den Zugang ihrer Träger zu den gesellschaftlich organisierten Multiplikatorstellen) nicht oder nur wenig deren Umgebung aus anderen Memen im gleichen Kopf (diese beeinflußt höchstens den individuellen Rationalisierungsweg) oder ihre Übereinstimmung mit der Außenwelt, also ihre Wahrheit, sondern fast nur ihre gesellschaftliche Umgebung, d.h. die durch ihre propagandistische Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit für die Herrschaftsinhaber gegebene Sympathie oder Antipathie derselben bzw. ihrer Beauftragten (z.B. Kultusminister, Rundfunkräte, Intendanten) oder mit ihnen Verbundenen (z.B. die Chefredakteure aller großen Zeitungen, deren Besitzer und Verbandsfunktionäre); Kritik an der ~ kann ebenfalls ziemlich wirksame Träger finden und deshalb standardisiert werden, aber nur, wenn die herrschende Klasse gesellschaftlich einigermaßen starke Gegner findet. Die aus diesem Kräfteverhältnis resultierenden Einschränkungen jener Kritik können, insbesondere, wenn sie bei gewechselter Machtträgerschaft eine neue propagandistische Brauchbarkeit erhalten, ihrerseits zur ~ werden.
Ebenfalls nach Hoevels hat die ~ den Sinn der gesellschaftlichen Bahnung und Standardisierung der jeweiligen individuellen kognitiven Dissonanzreduktion (KDR sensu Festinger), z.B. im Zeitungsleser, welche zur Rechtfertigung erlittenen Übels oder sonstigen von seiten der Herrschenden geschehenen Unrechts (Kolonialkriege, Massenmorde u.v.a.), also durch ihre Geschehenheit oder Gewaltgeschütztheit unveränderlicher Übel, geeignet ist. (Das subjektive Ergebnis der ~ ist also die Ansicht, »daß alles so sein muß, wie es auch ist« bzw. abläuft; daneben kann sie unbegrenzt viele Stützfunktionen dieses letztlichen Resultats übernehmen). Dabei wird die ~ meistens umso mehr durch latente oder offene Drohung gegenüber ihrem Rezipienten gestützt sein, je mehr Arbeit ihr Aufbau gekostet hat (damit der Rezipient diese Arbeit zumindest ansatzweise auch leistet), und umso weniger, je mehr sie auf einer Verwechslung von Wesen und Erscheinung, also Gewohnheit bzw. intellektueller Faulheit (vor allem Unterlassung der gedanklichen Gegenprobe) beruht, welche nur mäßiger Gewaltunterstützung bedarf (»Es und Überich verbünden sich hinter dem Rücken des Ichs«, wird dieser Sachverhalt individuell in der Terminologie Freuds beschrieben). Nach Brecht ist deshalb eine »Verfremdung«, d.h. die Präsentation einer gewohnten ~ in ungewohnter, also nicht (i.S. der universitären Psychologie) mit Kontingenzen (bes. der Drohung und eigenen Unterlegenheit) besetzten Umgebung, zur Erleichterung von deren Kritik bzw. Erkenntnis geeignet.
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