Zahl: sprachlicher oder sonstiger konventioneller Ausdruck der Übereinstimmung der Elemente einer gegebenen Menge mit den Elementen einer weiteren Menge.
Die gegebene Menge ist in allen Sprachen, welche ~en bezeichnen können (mit den Zahlwörtern), diejenige der menschlichen Finger beider Hände, bei den Mayasprachen auch des Doppelten davon, offenbar wegen ihrer natürlichen Verdopplung durch die Zehen. Größere Zahlen werden durch Vervielfachung dieser Grundmenge und Addition des Restes angegeben, wobei für die ersten Potenzen der Grundmenge gesonderte Wörter entstanden sind (102 »hundert«, 103 »tausend«; einige Sprachen, wie das Chinesische und das Griechische, verfügen auch über unzusammengesetzte Wörter für 104. Dagegen sind alle Wörter für noch höhere Potenzen der aus der natürlichen Ausstattung des Menschen entnommenen und daher ohne Nachdenken verfügbaren Grundmenge bewußt gebildet worden, um absichtlich größere Zahlen bezeichnen zu können). Diese sprachliche Bezeichnung von Mengenentsprechungen ist allen Sprachen gemeinsam, die über Zahlwörter verfügen, lange vor jedem graphischen Ausdruck der ~en, welcher über bloße analoge Herstellung der Menge durch Kerben o.ä. hinausgeht. Aber auch dieser graphische Ausdruck, der von der umständlichen Analogie zum schmiegsamer handhabbaren Symbol fortgeschritten ist (Ziffer), verläßt niemals die natürliche Grundlage der Fingermenge (bzw. ihrer Verdopplung); auch wo der »Stellensprung«, d.h. das Erreichen der Grundmenge bzw. eines Vielfachen derselben nicht, wie im indo-arabischen »Dezimalsystem« und seiner neuzeitlichen Ableitung, durch ein Sonderzeichen (»Null«) ausgedrückt werden kann, bleibt die Fingermenge die Zahlenbasis (z.B. römisch X). Es gibt also keine Sprachen mit einer anderen Grundmenge als 10 (bzw. 20) für den Ausdruck von ~en, wie oft fälschlich angegeben; die Verwendung von »Zählworten« wie Dutzend (12), Schock (60) usw. beeinflußt niemals die geläufige sprachliche Darstellung. Dagegen scheint der ~begriff – als gegenstandsunabhängige Analogie der Elemente einer beliebigen Menge – sogar in sumerischer Zeit noch nicht voll gefestigt zu sein; dies belegen die unterschiedlichen Zählworte bzw. Zähleinheiten für Mengen aus je verschiedenen Elementen (andere für Schafe, andere für Gewänder usw.), wie sie auch in Europa in der spezifischen Verwendung von bestimmten Zählwörtern nur für bestimmte Objekte fortlebten. – Daneben existieren Völker, insbesondere die »Buschmänner« (»San« usw.), welche überhaupt keinen ~begriff hervorgebracht haben und daher auch keine ~worte (»eins« und »zwei« werden offenbar nicht als ~en, sondern als »Paar« oder »Individuum« empfunden; »drei« usw. fehlt daher) besitzen; bedarfsweise werden sie von außen entlehnt. Die ~ gehört also keineswegs zur intellektuellen Grundausstattung des Menschen; ihr Begriff und Einsatz wird erst im Laufe längerer vorschriftlicher Kulturentwicklung durch praktischen Bedarf (Viehzucht?) erworben. Es ist daher ganz wirklichkeitsfremd, mathematische Erkenntnisse mit Kant für »apriorisch« zu halten; sie stehen vielmehr erst, bei Individuum wie Menschheit oder Volksgruppe, am Ende einer mühsamen Verarbeitung vielfältiger, durch praktische Erfordernisse herbeigeführter Erfahrung.
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