Kapitalismus: (von lat. caput »Kopf, Haupt«; die Ableitung wird im Text erklärt): Wirtschaftsform, die auf Besitz beruht, der sich nach Manipulationen zu einem höheren Preis verkaufen läßt als sein Erwerb plus den Manipulationen gekostet hat (oder im Erbschaftsfall: gekostet hätte), so daß sein Besitzer mindestens seinen Lebensunterhalt kontinuierlich aus dieser Quelle bestreiten kann. Ein solcher Besitz wird Kapital genannt (nach Marx »sich selbst verwertender Wert«).
      Die erste Manipulation dieser Art, die jenes Ergebnis ermöglicht, war der Transport jenes Besitzes in eine Gegend, in welcher er in der vorliegenden Form nicht hergestellt werden kann (am besten: auch die Art seiner Herstellung unbekannt ist), und ihn dort zu verkaufen (bzw. einzutauschen). Mit dem Ertrag wird eine neue Menge von Gütern erworben (im einfachsten Fall: eine überall konvertible Menge Edelmetall), zurücktransportiert und im Ursprungsland die mindestens gleiche Menge des Gutes erworben, welche den ersten Besitz bildete, wobei die Differenz zwischen dieser für diesen Kauf benötigten Geld- oder Gütermenge und der bei Verkauf oder Tausch zuvor erzielten Geld- oder Gütermenge mindestens die Transportkosten (welche auch die Existenzkosten des – ursprünglich mitreisenden oder den Transport selber besorgenden – Besitzers während dieses Transports sowie der Lagerung am Zielort enthalten) abdeckt, besser: überschreitet. Dieser Vorgang nennt sich Kapitalumschlag oder, wegen seiner unendlichen Wiederholbarkeit, Kapitalzyklus. Da die besagte Differenz regelmäßig größer ausfallen kann als die Transportkosten, führt die stetige Wiederholung des Kapitalzyklus dann zur immer weiteren Vergrößerung des Kapitals, seiner Anhäufung (lat. accumulatio, von cumulus »Haufen«, also Akkumulation). (Diese Differenz errechnet sich durch Abgleich der Spalten »Soll« und »Haben«, welche im »Hauptbuch« eingetragen wurden; daher der ursprünglich italienische Name. Als es vor über 400 Jahren als »Kapital« auch ins Deutsche eindrang, bezeichnete es die Geldmenge, von der Zinsen genommen werden konnten.)
     Ein stets, wenn möglich, zur Akkumulation genutztes Mittel besteht darin, mit dem am Zielort durch Tausch erhaltenen Edelmetall (oder sonstigem Geld) auch dort Güter zu erwerben (oder den eigenen Besitz direkt gegen diese einzutauschen), welche am Ausgangsort den gleichen Bedingungen unterliegen wie die transportierten Güter an ihrem Zielort, nämlich entweder nicht oder nur mit höherem Aufwand herstellbar zu sein (»billig einkaufen, teuer verkaufen«, das Bestreben aller Kaufleute, welches ursprünglich nie oder nur ausnahmsweise – durch Hortung für Mangelsituationen – ohne Transportaufwand möglich war). Die im Besitz der Kaufleute befindlichen und zu dieser Verwendung vorgesehenen Güter heißen Waren; ihr Kapital ist also, solange es nicht die Form des Geldes angenommen hat, welches als Universalware gelten kann und auch als solche entsteht, Warenkapital. Es läßt sich auch an allen Stellen seines Zyklus Handelskapital oder eben Kaufmannskapital nennen. Da dies die einfachste Form ist, in der Besitz als Kapital fungieren kann, ist das Kaufmannskapital dessen historisch erste Form. (Darum nennt Marx dessen Akkumulation auch die »ursprüngliche Akkumulation«, d.h. die Akkumulation von Kapital vor Entstehung des ~). Immerhin war auch dessen Einsatz so ergiebig, daß er, um vor Nachahmern geschützt werden zu können, schon sehr früh, z.B. zur Aufstiegs- und Blütezeit der auf dieser Grundlage entstandenen phönizischen Stadtstaaten, militärische Aktionen notwendig machte, um die Nutzung der Handelsrouten durch kartellfremde Schiffe (also solche anderer Staaten oder Völker) zu verhindern; für Landstrecken, besonders durch Wüsten, galt oft Analoges (cf. Entstehung und Geschichte der Stadtstaaten Petra und Palmyra; es gibt aber, weniger bekannt, noch weitaus ältere Beispiele, in deren Zentrum in der frühen Kupferzeit oder sogar dem Spätneolithikum meist der Obsidianhandel steht). Es ist nun schon auf dieser Stufe dreierlei zu beachten:

  1. Jeder Kapitaleinsatz und daher auch der ~ setzt einen Markt voraus.
  2. Die Realisierung dieses Einsatzes setzt seine Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis (nicht notwendigerweise die Geldwirtschaft, doch erzeugt der Vorgang diese oder eine ihrer Vorstufen ziemlich schnell) voraus. Diese Differenz, wenn positiv, wird Gewinn oder Profit genannt. Sie muß – in unserem einfachsten Fall – mindestens gleich den oben definierten Transportkosten sein, da andernfalls der zirkulierende Besitz aufhört, Kapital sein zu können. Angestrebt und meist verwirklicht ist allerdings, daß sie größer ist, weil nur dadurch die Akkumulation möglich wird, bei gleichbleibenden Voraussetzungen sogar unaufhaltsam voranschreitet. Um als Kapital fungieren zu können, muß ein Besitz also ziemlich groß sein. Zur Umgehung der entsprechenden Schwierigkeit wurden in einem späten Stadium des ~, im welchem gleichzeitig die Unzufriedenheit mit diesem weit verbreitet war, Teilungsmöglichkeiten des Kapitals entwickelt (Kleinaktien, Sparbücher u.ä.), welche die vom Kapitalerwerb ausgeschlossenen Massen besänftigen und zugleich der weiteren Vergrößerung großer Firmenkapitalien dienen sollten. Diese zeitweise staatlich geförderte (»Eigentumsbildung« u.ä.) Erscheinung, der »Femtokapitalismus« (F.E. Hoevels, von mikro-nano-pico-femto), ist in ihrem eigentlichen Sinne, nämlich der Teilhabe an Gewinnen, inzwischen zuende gegangen, teils wegen Erlöschen weiteren Kapitalbedarfs der großen Monopole, teils wegen des Rückgangs oder Verschwindens bewußter Unzufriedenheit mit dem ~, und zwar hauptsächlich mittels Zinsbesteuerung und bewußter Inflationspolitik.
  3. Die Existenz von Kapital, also die Grundlage des ~, setzt nicht notwendigerweise den Besitz von Produktionsmitteln voraus, sondern nur von Waren. (Natürlich können auch Produktionsmittel Waren sein bzw. als solche erworben werden; auch Kapitalien selber können verkäuflich, also Waren, sein, weswegen nach Entstehung des ~ sich bald ein Kapitalmarkt bildet.) Darum ist die erste und lange Zeit einzige Form des Kapitals das Kaufmannskapital. 

Das Kaufmannskapital konnte sich deshalb der Produktion lange nicht bemächtigen, weil diese den größten Teil des Mittelalters hindurch entweder unter feudaler Kontrolle stand (d.h. von Leibeigenen ausgeübt wurde und dann fast nur landwirtschaftlich war) oder aber von zunftmäßig organisierten Handwerkern ausgeübt wurde; eine auf Sklavenarbeit beruhende Produktion, deren Kapital wesentlich aus diesen Sklaven und den für sie bereitgestellten Produktionsmitteln bestanden hätte, wäre aufgrund deren geringer Motivation zu Erlernen und zuverlässigem Ausführen anspruchsvoller Tätigkeiten sowie der hohen Aufsichtskosten nicht konkurrenzfähig gewesen. Das änderte sich mit dem Fortschritt der Produktivkräfte, hauptsächlich der Nutzung außerorganischer Energiequellen (Wind- und Wasserkraft, erst recht und Jahrhunderte später der Verbrennungsenergie durch die »Dampfmaschine«) und den damit verbundenen sonstigen Fortschritten der Mechanik, die einerseits die Menge des benötigten »Startkapitals« vergrößerte (und daher für Zunfthandwerker, auch unabhängig von den auf Verhinderung des Vorgangs gerichteten Bestrebungen ihrer Zunft, meist unerreichbar anschwellen ließ), andererseits die Zerlegung des Arbeitsgangs in relativ leicht erlernbare Einzelschritte erleichterte und dadurch dem Zunftmonopol der zuvor unerläßlichen Handwerkerausbildung den Boden entzog. Darum bemächtigt sich das Kapital der Produktion zuerst im Bereich der Textilherstellung und ist dann geographisch zentriert in Mittelitalien (bes. Florenz) und Flandern (dessen Beschaffenheit und Lage die Windmühlennutzung ebenso wie den kostenarmen Warentransport begünstigte). Ähnliches gilt bald auch für Hammerwerke vornehmlich auf Wasserkraftbasis, welche vielfältig genutzt werden. Die durch jene »kapitalistische« Konkurrenz ruinierten Handwerker, deren Produktionsmittel nutzlos wurden, während ihre gelernten Fähigkeiten fortbestanden, werden dadurch – meist über die Zwischenstufe des »Verlagssystems« – zum Kern jener neuen, auf diese Weise entstandenen Menge der Lohnarbeiter, also Menschen, die nicht mehr vom Verkauf ihrer Produkte leben, an denen sie jedes Eigentumsrecht verloren haben, sondern nur noch vom Verkauf ihrer Arbeitskraft an die Besitzer der neuen und effizienteren Produktionsmittel. Deren Gewinn – bzw. der auf dieser Grundlage mögliche und regelmäßig auch eintretende Gewinn – entsteht dann beim Verkauf des Produkts auch am Platze seiner Herstellung, ohne daß dazu, wie zuvor bei der Hortung, außergewöhnliche Voraussetzungen nötig wären, und zwar deshalb, weil die angewandte Arbeitskraft, die Maschinen (anteilig zu deren Verschleiß) und die verarbeiteten Rohstoffe unter Normal-, d.h. Durchschnittsbedingungen, nämlich ausgeglichenem Verhältnis von Angebot und Nachfrage, zusammen weniger gekostet haben als den Käufer des Produkts die Ware. Liegt die Nachfrage über dem Angebot, wird der Gewinn des Kapitalbesitzers dieser Art (des »Kapitalisten«) noch größer; liegt sie darunter, wird er kleiner und kann sogar in Verlust umschlagen. Dieser letzte Fall, die sog. Absatzschwierigkeit, wird »Geschäftsrisiko« oder »Unternehmerrisiko« genannt.    Die Klärung der Frage, woher dieser regelmäßige Gewinn kommt – schwerlich durch chronischen Betrug der Käufer mittels Verkäuferwillkür gegen alle Konkurrenz des Marktes – haben erstmals Marx und Engels in Fortsetzung inkonsequent gebliebener Vorarbeiten Adam Smiths und besonders Ricardos schlüssig erklären können. Das bewirkte, daß die universitäre »Volkswirtschaftslehre« (zuvor seit 1630 »politische Ökonomie« bzw. Lehre von derselben genannt) nicht nur von dieser Erklärung, sondern auch von allen ihren Vorstufen abrückte und daher keine schlüssige Erklärung des Phänomens mehr geben kann. Sie behilft sich stattdessen mit seiner Subjektivierung (»Grenznutzentheorie«) und der detaillierten Beschreibung mechanisch-kausal nicht weiter erklärter, zum Ausgleich meist aufwendig mathematisierter wirtschaftlicher Teilvorgänge.
     Da der ~ notwendigerweise den Markt voraussetzt, ist er nicht nur unter den Bedingungen eines lückenlosen Feudalismus oder bürokratischer Kontrolle der Produktion und Verteilung nicht existenzfähig, sondern auch unter denen des Monopols, das ja den logischen wie natürlichen Gegensatz des Marktes bildet. Es ist daher kaum angemessen, den Fortbestand des ~ in der gegenwärtigen Gesellschaft zu behaupten; da die Akkumulation des Kapitals längst eine sehr weitgehende Monopolbildung bewirkt hat, hat eine autoritäre, aus dem ~ durch innere Gesetzmäßigkeit hervorgegangene faktische Verteilungswirtschaft die kapitalistische Marktwirtschaft abgelöst. Diese Verteilungswirtschaft ähnelt strukturell viel stärker als dem ~ den »redistributiven Wirtschaften« (M. Weber) der ältesten Geschichte Ägyptens und Mesopotamiens oder einer autarken Gefängniswirtschaft, in der Aufseher mit unbegrenzten Eingriffsmöglichkeiten zugleich die Nutznießer der von ihnen gesteuerten Häftlingsproduktion sind, welche sie nach Gutdünken teils zu deren physischer Erhaltung, teils zu deren Ansporn oder Bestrafung an die Häftlinge zurückverteilen, teils ihren Vertrauensleuten (Spitzeln, Schreiern, Bütteln usw.) unter den Häftlingen weiterleiten, teils selber verbrauchen. Damit hat das sog. »Wertgesetz« aufgehört zu bestehen, da keine Äquivalente mehr getauscht werden können (höchstens in irrelevanten Mengen in Gestalt unbedeutender Gebrauchsgüter unter den Häftlingen selber), womit das Geld seinen Warencharakter bzw. seine Tauschfunktion verliert und zum bloßen Verteilungsmittel der Gewalthaber mutiert, ähnlich wie historisches »Lagergeld« in Form von Bezugsmarken, -scheinen u.ä. Dieser Funktionswandel wird vollendet durch die lückenlose Verwendungskontrolle des dem verflossenen Geld angeblich äquivalenten »plastic money«, was die sichere Konsum- und Bewegungskontrolle, in gewisser Weise die Kontrolle aller relevanten Lebensäußerungen durch die Gewalthaber ermöglicht und bewirkt. Die gesellschaftlichen Folgen der Transformation des ~ in den Monopolismus (bei geographisch-politischer Konzentration der Kommandos über diese Monopole in den USA) dürften kaum geringer sein als diejenigen der Entstehung und Ausbreitung des ~ selbst; sie beenden mutmaßlich alles, was als charakteristisch für die auf diesem fußende »Neuzeit« angesehen wurde. Dieser Sachverhalt schlägt sich, wohl nur halb bewußt, aber treffsicher, in dem Schlagwort von der »Postmoderne« nieder.
 
Der Begriff »~« wird von vielen Autoren, darunter so berühmten wie Eduard Meyer oder Max Weber, in einem weitaus verwascheneren und unschärferen Sinne gebraucht. Er bedeutet dann ungefähr: »Wirtschafts- oder Erwerbsweise, bei der wesenhaft Geld im Spiel ist, offene Gewalt jedoch nicht, sondern höchstens zu deren Ermöglichung oder Erhaltung benötigt wird«. Der ~ wird dadurch negativ zum Feudalismus in Bezug gesetzt (als dessen Negation und kämpferischer Gegensatz er historisch ja in der Tat aufgetreten und entstanden ist), in welchem direkte Gewalt die Stelle für den in die Produktion einbrechenden ~ der für jenen unverzichtbaren strukturellen Erpressung einnahm; da direkte Gewalt auch zur Sklavenhaltung benötigt wird, erhalten dann die durch Gelderlangung ernsthaft wohlhabenden, diesen Wohlstand nicht durch Sklavenhaltung erzielenden römischen Bürger (Steuerpächter, Bankiers, natürlich auch Großhändler) die Bezeichnung »Kapitalisten«, wird ihre Erwerbsweise »Kapitalismus« genannt. Dies wird auch auf ähnliche Menschengruppen und Strukturen weiterer Gebiete und Zeiten ausgedehnt, verliert dabei allerdings oft noch weiter an Präzision. Hintergrund dieses Wortgebrauchs dürfte – außer dem Kampf gegen Marx und dessen Schüler – vor allem eine aus dem nostalgisch fortlebenden Feudalismus unklar überlieferte Gefühlslage sein, welche in gewaltförmiger Aneignung fremder Leistung etwas »Edles« und »Glanz« empfindet, in der – meist verleugneten – strukturellen Erpressung mit analogem Ergebnis dagegen etwas Glanzloses bis »Schmutziges«, jedoch dafür irgendwie durch angebliche Erfordernisse des »Alltags« »Rationales«, das dadurch wiederum (und in dieser Hinsicht durchaus vorteilhaft) einen Gegensatz zur Irrationalität des »Erbcharismas« abgibt, welches in vorbürgerlichen und vielen bürgertumsfeindlichen Gesellschaften (v.a. der chinesischen und indischen Geschichte) eine zentrale Rolle spielt. Es ist deutlich, daß diese emotionale Position (mit moralischen Untertönen) recht genau der historischen entspricht, in der sich das Bürgertum, dem sich jene Autoren zugehörig fühlen, zu ihrer Zeit in ihren Ländern gegenüber den immer noch mächtigen Rechtsnachfolgern der früheren Feudalherren einerseits, in seiner Bedrängnis durch die zugleich unabsehbar aufsteigende und derzeit starke Arbeiterbewegung andererseits befand.


 
Ahrimans VolksEnzyklopädie
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