Regietheater: Inszenierung eines Stückes, insbesondere einer Oper oder eines »Klassikers«, gegen die grundlegenden Intentionen des Autors und seines immanenten Gehaltes. (Dominanz der Regie über die Intention des Stückes, des Regisseurs über den Autor.) Unverzichtbare Mittel des ~s sind zu diesem Zweck: 1) breite, aufwendige Herausarbeitung nebensächlicher oder sogar nur hypothetischer, jedesmal strikt unwesentlicher Intentionen des Autors; 2) strenge Enthistorisierung der Kostüme und des Bühnenbildes unter Vermeidung jeder Einheitlichkeit oder Stimmigkeit – auch eine falsche historische Orientierung muß vermieden werden; 3) Einschaltung möglichst ephemerer Gegenwartsbezüge mit konformer Tendenz, hilfsweise auch von Bezügen auf ein mythisiertes 3. Reich, am besten unter Hervorhebung peripherer Handlungsteile; 4) extrem umständliche und lange Herausarbeitung von »Pointen« weit über die Zeit hinaus, die zu ihrem Verstehen nötig ist (»oleata pro caricatura«, »ein Ölbild statt einer Karikatur«: singen z.B. Nebenpersonen ein Trinklied mit der Zeile: »Im Winter ist es kalt«, danach »Im Sommer ist es heiß«, so hat ein Bühnenarbeiter o.ä. von einer Leiter aus längere Zeit Schneeflocken zu streuen bzw. eine Heizsonne anzuschalten, als wäre dieser Aufwand der Verdeutlichung eines schwierigen Textes dienlich, usw.). – Für Operninszenierungen ist das ~ inzwischen weltweit obligatorisch; obwohl es mit der »Originalität« des Regisseurs begründet wird, hat er dennoch diese vier Prinzipien mit peinlicher Pflichttreue und mechanischer Sorgfalt zu beachten; seine Verteidigung gegen das Publikum erfolgt dann durch die Presse, bis dieses das ~ als Norm anerkannt hat. Da der Regisseur im Gegensatz zu dem Autor ein öffentlicher Angestellter ist, welcher oft auch erhebliche Gehälter zu verlieren hat, bedeutet die Durchsetzung dieser Norm auch eine wesentliche Steigerung sowohl von Wirksamkeit wie Unauffälligkeit der staatlichen Kontrolle über das Bühnengeschehen bzw. die öffentliche Kommunikation, sofern diese über das Theater verläuft.
     Da der hauptsächliche Sinn der Opern und vieler »klassischer« Stücke die Herausbildung der historischen Phantasie vor allem des Bürgertums war, ist anzunehmen, daß die global einheitliche Erzwingung des ~s deren Abbau bzw. Verhinderung bei dessen (vor allem angestellten, machtlosen) sozialen Nachfolgegruppen bewirken soll, auf jeden Fall fördert.
     Ebenso dürfte das für das ~ zentrale Stilelement des »Erzählens der Pointe vor dem Witz« (oleata pro caricatura) der Versinnlichung intellektueller Vorgänge bzw. der – niemals nur andeutenden! – Vergestischung sprachlicher Informationsübertragung der Entwöhnung von geistiger Behendigkeit und intellektueller Selbstvergewisserung dienen. (Als Ergebnis ähnlicher Prozesse kannte das eigentliche Mittelalter wohl den Schwank und grobe Situationskomik, aber nicht mehr bzw. noch nicht den Witz.)

 
 
Literatur: F.E. Hoevels, Die sogenannten modernen Operninszenierungen (Ketzerbriefe 49), Freiburg (Ahriman)

 
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