Hirte: (lat. pastor, wörtl.: »Weider«: gr. βουκόλος, »Rindsversorger«): Hüter in seinem oder fremdem Eigentum befindlicher Säugetiere, insbesondere bei deren Nahrungsaufnahme auf natürlichen Flächen.
     Der auffälligste Unterschied zwischen ~ und Jäger ist nicht nur, daß der ~ die von ihm bzw. deren sonstigem Besitzer genutzten Tiere gegen Raubtiere verteidigt (und zu diesem Zweck in einem Verband zusammenhält), sondern auch, daß sie als Eigentum betrachtet werden, was beim Jäger höchstens erst der Fall ist, sobald er sie erlegt hat; Jagdverbote oder gar Privateigentum an freilaufenden Tieren sind makrohistorisch späte und sekundäre Erscheinungen. Dagegen gilt der Boden (als Territorium), auf welchem der Jäger als solcher tätig wird, sehr wohl als Eigentum, nämlich als kollektives der Horde oder Sippe, welcher er angehört (und das mit deren Territorium zusammenfällt wie bei allen Pan- und Homo-Arten). Das ist der Hauptgrund für die weitgehende und aktive Ausrottung der auf Jägerstufe befindlichen »Buschmänner« durch viehhaltende erst schwarze, dann weiße Eindringlinge in deren Territorien.
     Als ~nvölker gelten solche Völker, die sich nach ganzer oder weitgehender Aufgabe des Ackerbaus hauptsächlich von der Tätigkeit des ~n ernähren (z.B. die Massaï). Sie haben sich stets aus Bauernkulturen entwickelt, niemals umgekehrt (das wäre das sekundäre und meist schwierige »Seßhaftwerden«, auch, wenn aufgenötigt, »Seßhaftmachen« von ~nvölkern), vor allem, und im Gegensatz zu Bauernvölkern, niemals aus Jägern und Sammlern (mit der einzigen Ausnahme der Samen [»Lappen«] Nordskandinaviens, deren Renhaltung allerdings nur bedingt als ~ntätigkeit bezeichnet werden kann). Die Tätigkeit des ~n ist also stets aus der bäuerlichen abgeleitet, da die Domestikation der dafür geeigneten Tiere Seßhaftigkeit voraussetzt, welche im dafür nötigen Maße erst mit der Festigung des Ackerbaus gegeben ist. (Das einzige Haustier, für welches das neben dem Ren nicht gilt, der Hund, ist zwar schon auf der Jägerstufe domestiziert worden und wird später für den ~n nützlich, setzt aber seinerseits für seine Nutzung keine ~ntätigkeit voraus.) Der Nomadismus vieler ~nvölker ist also eine abgeleitete Erscheinung; er hat wegen der erforderlichen Mobilität zur Domestikation des Pferdes, später andernorts auch zu derjenigen des Kamels angeregt, was den aufgrund ihres Platzbedarfs gegenüber seßhaften Kulturen zahlenmäßig unterlegenen ~nvölkern oftmals eine militärische Überlegenheit gegen jene verschaffte (Echte Patriarchate entstanden ebenfalls vorwiegend unter ~nvölkern) . Als Erobererschicht wurden jene dann öfters sekundär seßhaft, hielten Sklaven oder entwickelten Apartheitsstrukturen, bewahrten aber Traditionen der ~ngesellschaft, welche ihre militärische Überlegenheit begründet hatte, bisweilen noch lange. Eroberer aus Agrargesellschaften, welche die Eroberten nicht rasch zahlenmäßig überwucherten, wurden dagegen im Durchschnitt weitaus zügiger assimiliert.
     Der Sinn der ~ntätigkeit besteht darin, weidende Tiere vor der Nutzung durch Raubtiere zu schützen, ihre Biomasse, die dadurch bei unbegrenzter Weidefläche ins Unendliche steigen würde (da ihre Vermehrungsrate auf den gegebenen Prädatorendruck eingestellt ist), also auf deren Kosten wachsen zu lassen, was in der Folge durch Verzehr ihres Fleisches und/oder anderer Teile ihrer Biomasse (Milch, Blut) zur prozentualen wie absoluten Vermehrung der Biomasse der eigenen Art auf Kosten aller anderen mit Ausnahme der jeweils »geweideten« Arten führt, ganz wie der Bauer die Biomasse seiner Art sowie der von ihm verteidigten und verbreiteten Pflanzen auf Kosten der Biomasse aller anderen Arten ausweitet (mit der unfreiwilligen Ausnahme gewisser »Schädlinge«, welche beendet wird, sobald das technisch und wirtschaftlich möglich geworden ist). Seit es Bauern und ~n gibt, erfordert realer Erhalt des Artenbestandes der Erde also, den jeweiligen Biotopgrößen angepaßt, eine menschliche Geburtenkontrolle. Ihr bisheriges Ausbleiben ist die Ursache des Aussterbens erst vieler, jetzt äußerst vieler sonstiger Arten von Lebewesen.
     In der antiken Mythologie spielen ~n oft wichtige Rollen. Einzelne ~n werden z.B. die Adoptivväter als Kinder ausgesetzter Sagenhelden (etwa Kyros, auch Ödipus).  ~n als anonyme Gruppe sind auch die ersten Verehrer des neugeborenen Mithras- und Jesuskindes und spielen im Dionysoskult, aus dessen Mysterien auch das christliche Abendmahl stammt, eine so große Rolle, daß dessen Mysten meist einfach βουκόλοι hießen. (Die entsprechenden Mythen tauchen, soweit archäologisch bzw. schriftlich faßbar, fast gleichzeitig auf, so daß sich die Priorität nicht mehr feststellen läßt; da die Evangelien eine fortlaufende Erzählung mit innerer Logik darstellen wollen, nicht eine Reihung autonomer Episoden, ist aber die Entlehnung des christlichen Mythos von der »Anbetung der Hirten« aus dem Mithrasmythos wahrscheinlicher als die entgegengesetzte Wanderung des Motivs oder dessen jeweils unabhängige Entstehung, da von den ~n, deren Zeugenschaft wundersamer Geburtsumstände für einen Messiasprätendenten sehr nützlich sein könnte, im weiteren Erzählverlauf nie wieder etwas zu hören ist.) Als idealisierte Zivilisationsantipoden drangen ~n schon im 4. vorchristlichen Jhd. in die Literatur ein (»bukolische Dichtung«, oft angesiedelt in der damals rückständigsten Gegend Griechenlands, nämlich Arkadien); in dieser Funktion wurden sie auch in die lateinische Dichtung der frühen Kaiserzeit und wohl auch in die gleichzeitige, oben erwähnte Mythologie übernommen; sie beherrschen als »bukolische Motive« auch weite Teile der zivilisationsflüchtigen spätantiken Dekorationskunst und erfahren in ähnlicher Funktion in der Barockdichtung sowie den »Schäferspielen« der Rokokozeit eine Wiederbelebung.


 
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