Entropie: Maß für die Unordnung in einem physikalischen System (Kunstwort von gr. τροπή = »Wendung« oder »Änderung«; im Sinne von »Umwandelbarkeit« oder »Umkehrbarkeit« als bewußte Parallelbildung zu Energie = »Wirksamkeit«). Unter Unordnung ist hier zu verstehen, wie unstrukturiert bzw. gleichverteilt Materie und Energie in einem physikalischen System sind. In einem abgeschlossenen System (in dem kein Materie- oder Energieaustausch mit der Umgebung stattfindet) kann die ~ niemals abnehmen, sondern nimmt in der Regel zu (»~satz« oder »Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik«); wenn sie bei einem Prozeß zunimmt, ist dieser irreversibel.
Populäres Beispiel von Irreversibilität ist das Vermischen zweier anfangs getrennter Flüssigkeiten durch Rühren; weil die Materie im Endzustand gleichmäßiger im Behälter verteilt ist, besitzt dieser eine höhere ~ als der Ausgangszustand und läßt sich gemäß dem ~satz nicht mehr durch Rühren entmischen. Eine analoge Beobachtung lässt sich für die Gleichverteilung der Energie machen: zwischen zwei sich berührenden Körpern unterschiedlicher Temperatur findet stets ein Angleichen der Temperaturen durch Wärmefluß vom wärmeren zum kälteren statt (deren thermische Energie »vermischt« sich gewissermaßen), niemals tritt der Umkehrprozess eines spontanen Wärmeflusses gegen ein Temperaturgefälle auf, der die ~ des Gesamtsystems verringern würde.
Diese Beobachtung ist eng verknüpft mit der Funktionsweise von Wärmekraftmaschinen (Dampfmaschinen etc.) und historischer Anstoß zur Entwicklung des ~konzepts. Mechanische Energieformen können restlos durch Reibung in Wärme umwandelt werden (wenn z.B. ein Körper durch Reibung zum Stillstand kommt, geht dessen gesamte kinetische Energie als Wärme verloren), umgekehrt lässt sich Wärme jedoch überhaupt nicht direkt in mechanische Energie umwandeln (die Wärme in einem Gasbehälter, der dieselbe Temperatur wie die Umgebung besitzt, kann z.B. keinen Kolben in Bewegung versetzen). Wärme besitzt eine höhere ~, da es sich um ungeordnete Bewegung von Molekülen mit maximal gleichverteilter Energie handelt, weshalb sie sich nicht direkt in Energieformen mit höherem Ordnungsgrad umwandeln lässt. Auf diese Weise bringt das ~konzept ein Element der Wertigkeit in die Energieformen, die sich ganz handfest mit deren mechanischer (und im Endeffekt auch ökonomischer) Nutzbarkeit deckt: die Energie eines beschleunigten Kolbens (kinetische Energie) oder eines angehobenen Gewichts (potentielle Energie) läßt sich im Prinzip vollständig auf die Bewegung anderer starrer Körper übertragen, d.h. mit ihnen mechanische Arbeit leisten; um jedoch Wärme in höherwertige Energieformen umzuwandeln, muß erst von außen durch räumliche Strukturierung der Wärmeverteilung ihre ~ verringert werden; dies geschieht in einer Dampfmaschine, indem sie durch chemische Verbrennungsprozesse das Gas in einem Kessel erhitzt und durch derartige Trennung von heißem Dampf und kälterer Umgebungsluft eine Ungleichverteilung der Wärme herstellt. Die mechanische Nutzung von Wärme erfordert also zwei Wärmespeicher unterschiedlicher Temperatur, um das Bestreben der Wärme auszunutzen, stets von Gebieten höherer zu solchen mit niedrigerer Temperatur zu fließen. Je höher dabei der Temperaturunterschied, desto geringer ist die ~ des Gesamtsystems und desto höher der für mechanische Arbeit nutzbare Anteil der Wärme, also die Effizienz der Maschine (=Wirkungsgrad).
Die ~ wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Rudolph Clausius eingeführt als eine rein phänomenologisch definierte Rechengröße, die erfolgreich genutzt wurde, um die Reversibilität von Prozessen mittels ~satz zu beschreiben. Bei Prozessen der Energieumwandlung bestimmt der Energieerhaltungssatz die quantitative Seite, also den »Wechselkurs« zwischen Energieformen, und der ~satz entscheidet, ob bzw. in welchem Ausmaß dieser »Tausch« überhaupt zustande kommt (diese aus der Ökonomie entlehnte Terminologie reflektiert die Strukturverwandtschaft der Begriffspaare Energie-Entropie und Tauschwert-Gebrauchswert sensu Marx). Die mikroskopische Grundlage der ~ als Maß für die Unordnung auf Ebene der Atome blieb zunächst unklar, bis Ludwig Boltzmann 1877 der entscheidende Durchbruch zu einer präzisen statistischen Definition gelang, indem er die ~ eines Systemzustands mit seiner Wahrscheinlichkeit in Verbindung brachte. Ein Makrozustand (vermischte oder unvermischte Flüssigkeiten) ist um so wahrscheinlicher, je größer die Anzahl der möglichen mikroskopischen Konfigurationen (Positionen und Geschwindigkeiten der Flüssigkeitsmoleküle) ist, die jenen makroskopischen Zustand hervorrufen. Das Prinzip ist dasselbe wie beim Spiel mit mehreren Würfeln: es gibt mit zwei Würfeln nur eine Konfiguration, die maximale Augensumme von 12 zu würfeln (also einen Zustand geringer ~ zu erreichen), aber sechs Konfigurationen für die Median-Augensumme von 7 (ein Zustand hoher ~); mit sechs Würfeln gibt es ebenfalls nur eine Konfiguration für die maximale Augensumme 48, aber bereits 4332 Möglichkeiten für die Median-Augensumme 21. Mit zunehmender Zahl der Würfel nimmt die Wahrscheinlichkeit immer weiter ab, die maximale Augensumme, also einen Zustand geringer ~, zu erzielen. In einem Teilchenkollektiv sind Zustände hoher ~ also schlichtweg wahrscheinlicher als Zustände geringer ~, und für extrem hohe Teilchenzahlen, wie sie in einem thermodynamischen System vorkommen, konvergiert diese Wahrscheinlichkeit gegen naturgesetzliche Gewißheit, wodurch der ~satz eine unmittelbare Folge von Boltzmanns ~definition ist: Zufallsänderungen (z.B. Rühren oder thermische Bewegung) an einem strukturierten Zustand (z.B. unvermischte Flüssigkeiten oder ein Temperaturgefälle) verändern diesen stets zu einem Zustand geringer Struktur (z.B. vermischte Flüssigkeiten oder Wärmegleichgewicht); umgekehrt führen Zufallsänderungen an unstrukturierten Zuständen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals zu einem strukturierten Zustand. Das ist der Grund, warum die ~ gleichermaßen als Maß für die Unordnung (i.S. von Unstrukturiertheit) und als Maß für die Irreversibilität gilt; das Wesen der ~ ist die Unordnung, die Irreversibilität ist bloß eine Folge davon, obwohl sie den historischen Ausgangspunkt bildete.
Mit dieser Methode stellte Boltzmann die Thermodynamik endgültig auf das Fundament der damals unter Physikern weitgehend abgelehnten (!) Atomlehre und löste zudem mit einem Schlag eines der bedeutendsten und grundlegendsten Rätsel der Physik des 19. Jahrhunderts, nämlich den scheinbar unlösbaren Widerspruch, daß makroskopische Prozesse (eines Kollektivs von Molekülen) in der Regel irreversibel sind, obwohl sie ausschließlich auf vollständig reversiblen mikroskopischen Prozessen (Bewegungen und Stöße der Moleküle) beruhen. Daß die bei Stoßprozessen weniger Moleküle beobachtbare Reversibilität bei großen Teilchenzahlen in Irreversibilität umschlägt, ist eines der weitreichendsten Beispiele für einen »Sprung von Quantität zu Qualität«, und stellt einen der größten Triumphe der damaligen Atomlehre dar, der in der Physikgeschichte einen vergleichbaren Stellenwert einnimmt wie in der Biologie die einige Jahre zuvor veröffentlichte Entdeckung Darwins des Evolutionsmechanismus, die zudem in ihrer statistischen und dialektischen Denkweise eine gewisse Strukturverwandtschaft aufweist. Es ist deshalb kein Zufall, daß ausgerechnet Boltzmann zeitlebens der konsequenteste und angefeindetste Verfechter der mittlerweile von keinem Physiker mehr bezweifelten Atomlehre blieb.
Die eigentliche Schnittstelle zur Biologie ist aber die durch Boltzmann ermöglichte Präzisierung der physikalischen Bedingungen für die Entstehung und Aufrechterhaltung von komplexen organischen Strukturen. Die Entstehung des Lebens wird religiös motiviert gelegentlich als im Widerspruch zum ~satz dargestellt; im Gegenteil handelt es sich aber bei der »Ursuppe« um ein offenes System, in dem durch Energiezufuhr (Sonnenlicht) im Einklang mit dem ~satz die ~ verringert wird und komplexe Makromoleküle entstehen können. Lebewesen sind also Systeme niedriger ~, und der Prozess des Lebens, als ein Fließgleichgewicht, bei dem der Organismus seine Materie- und Energiebilanz mittelfristig ausgleichen muss, produziert ständig ~, weshalb er dieser ~zunahme durch Aufnahme von Materie und Energie niedriger ~ entgegenwirken muss; die Nahrung muß also im Sinne der ~ hochwertiger sein als die Ausscheidungsprodukte (zu denen in diesem Kontext auch die abgestrahlte Wärme zählt). Bei der Reaktion von Glucose und Sauerstoff zu Wasser und Kohlendioxid nimmt die ~ also zu, in erster Linie deshalb, weil Glucose als Feststoff eine niedrigere ~ besitzt als das flüssige Wasser und die entstehende Wärme (die beiden involvierten Gase halten sich dabei etwa die Waage). Der Prozeß ist also irreversibel, und der Umkehrprozess erfolgt in einem abgeschlossenen System nicht von alleine, sondern benötigt Energie von außen, z.B. in Form von Licht, das u.a. die Photosynthese und damit die fast restlos vorherrschende Basis aller Nahrungsproduktion ermöglicht (es kann Pflanzen ohne Tiere geben, aber keine Tiere ohne Pflanzen).
Auch der Energiehaushalt der Erde, in den derjenige des Lebens als Teilprozeß eingebettet ist, ist ein Fließgleichgewicht, da sie gleichviel Energie von der Sonne empfängt wie sie in Form von Wärme abstrahlt (andernfalls würde sie sich unaufhörlich aufheizen oder abkühlen). Das Universum als Ganzes ist ein abgeschlossenes System, dessen gegenwärtig »geklumpter« Zustand geringerer ~ (Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen) immer weiter »zerläuft« und einem Zustand reiner Wärmestrahlung und damit maximaler ~ entgegenstrebt (sog. Wärmetod des Universums). Bis zu diesem ist es allerdings noch weit hin; lange vorher, nämlich in ca. 950 Millionen Jahren, nimmt erst einmal unser Sonnensystem sein Ende (weil dann die Sonnenmasse nicht mehr genug Gravitation aufbringt, um die Bestandteile der Sonne zusammenzuhalten). Es ist aber schade, wenn unsere Tierart ihre Möglichkeiten zu maximal gutem Leben schon jetzt ruiniert.
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