Lebenserwartung: Das Durchschnittsalter der zu einem gegebenen Zeitpunkt (z.B. innerhalb eines Stichjahres) Gestorbenen einer bestimmten Population (eines Landes, Berufes, Einkommensklasse, Geschlechts, Rasse usw.)
Es ist zu beachten, daß die Lebenserwartung, welche sich nur auf dem gegebenen Wege feststellen läßt, stillschweigend für die gerade Lebenden der gegebenen Population unabhängig von deren Alter vorausgesetzt wird, was eine Fiktion ist, da davon ausgegangen wird, daß deren Lebensumstände, welche ihre wirkliche ~ bestimmen, denen der Verstorbenen des Stichjahres gleichen werden. – Aus naheliegenden Gründen bildet die festgestellte ~ die Grundlage jeder Berechnung von Rentenversicherungen; setzt man sie höher an, als sie tatsächlich ausfällt, werden die Beiträge zu hoch (d.h. hinterlassen nicht zurückverteilte Reste) oder die Renten zu niedrig (mit der gleichen Konsequenz); setzt man sie geringer als wirklich an, ist das Ergebnis entgegengesetzt. (Dabei wird von Währungsstabilität, nicht jedoch notwendigerweise von Kapitalbildung ausgegangen, welche durch erzwungene Teilhabe an fremder Arbeit ja bei Währungsstabilität entweder die Beiträge verringern oder die Renten vergrößern müßte).
Die ~ wird von mehreren Faktoren beeinflußt; der wichtigste dürfte die Qualität der medizinischen Versorgung sein, ferner die durchschnittliche Arbeitsbelastung, bei gleicher Zeitbelastung auch die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit, Sicherheit oder Unsicherheit der Arbeitsstellung. Auch viele weitere Faktoren beeinflussen die ~, z.B. der Familienstand, die Größe des verfügbaren Wohnraums, die Nahrungsgewohnheiten usw. Der neben der medizinischen Versorgung wahrscheinlich bedeutendste Faktor ist der genetische: je schlechter die medizinische, soziale usw. Lage einer Population lange Zeit gewesen ist, d.h. je geringer ihre ~ im Vergleich zu einer Parallelpopulation war, umso höher wird ihre ~, wenn sich ihre Lebensumstände der Parallelpopulation angleichen (also höher als deren ~ unter den gleichen äußeren Umständen). Der Grund dafür ist in der geringeren Anzahl ihrer Mitglieder zu suchen, die bei entsprechender Krankheitsanfälligkeit das fortpflanzungsfähige Alter erreichen und die dazugehörige genetische Disposition weitergeben können. Dementsprechend sinkt die ~ nach einigen Generationen gleichbleibend guter medizinischer Versorgung wieder, wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden.
Der unzweifelhafte statistische Zusammenhang zwischen ~ und Einkommenshöhe (beide steigen parallel) wird bisweilen mit dem unsinnigen Argument bestritten, am auffällig höchsten sei doch die ~ der Mönche (womit anscheinend nur männliche Ordensangehörige euro-amerikanischer Industriestaaten gemeint sind; jedoch ist in armen wie reichen buddhistischen Staaten mit einem gleichsinnigen Ergebnis zu rechnen). Jedoch kann das Einkommen sich auf eine biologische Größe nur insoweit auswirken, als es sich selber auf andere biologische Größen auswirkt (medizinische Versorgung, körperliche wie seelische Streßbelastung – das typische Phänomen »Angst essen Seele auf« tritt bei entlaßbaren, abhängig arbeitenden Menschen ohne materielle Reserven meßbar häufiger auf als bei gut verdienenden Selbständigen und Geistlichen gleichermaßen; auch die durchschnittlich erfahrene gesellschaftliche Behandlung wird sich über den hormonellen Umweg auf die ~ auswirken); es ist daher entweder gleichgültig oder unwichtig, ob es individuell oder kollektiv erworben wird, solange es zur Sicherung dieser Faktoren objektiven wie subjektiven Wohlbefindens quantitativ gleich oder ähnlich eingesetzt wird. Außerdem scheint Kontinuität der Lebensweise die ~ zu erhöhen, obwohl an dieser Stelle statistische Präzision schwer zu erlangen ist.
Daß der Stand der Produktivkräfte, welcher eine flächendeckende gute medizinische und auch sonstige Versorgung ermöglicht, der entscheidende Faktor ist, der die ~ beeinflußt, zeigt sich im Vergleich der »Alterspyramiden« verschiedener Länder und Zeiten. Gesellschaftliche Kräfte, welche das erwirtschaftete Mehrprodukt beispielsweise lieber von Soldaten und Beamten als von Rentnern verbraucht sähen, »warnen« darum als der Folge guter Versorgung vor der »Altersgesellschaft«, d.h. einer Gesellschaft mit hoher ~, die zugleich ihre Ressourcen nicht durch Überbevölkerung zerstört.