Philosophie: (von gr. φιλοσοφία , also »Weisheitsliebe«): bewußter Versuch möglichst umfassender Übersichtsbildung.
Es ist bemerkenswert, daß ein solcher, an seiner von vornherein klar geäußerten Absicht erkennbarer Versuch nicht in den frühen (»hydraulischen«, d.h. vor allem auf Wasserregulierung im umfassenden Maßstab beruhenden) Zivilisationen unternommen worden ist (bzw. gesellschaftlich bedeutsam und dadurch der Nachwelt bekannt geworden ist), sondern erst viel später, nämlich in den bedeutenderen griechischen Küstenstädten des südwestlichen Kleinasien, insbesondere Milet, und zwar auffällig gleichzeitig und ortsgleich mit dem Aufkommen des Münzgeldes. Ähnliche, beinahe gleichzeitige Versuche werden auch aus Indien und China berichtet, korrelieren auch dort, aber nicht ebenso eng, mit dem Aufkommen des Münzgeldes und drücken die eingangs genannte Zielsetzung nicht mit der gleichen Schärfe aus.
Zwei Gründe für dieses Zusammenfallen liegen nahe:
1) Das Bemühen mit den Machtträgern verbundener oder zusammenfallender Priesterschaften (=gesellschaftlicher Suggestionsapparate), die mögliche Übersicht in ihrem Sinne zu verengen und zu verfälschen, in der Folge dann zu monopolisieren. Dieses Bestehen verlief in den ältesten Zivilisationen, der ägyptischen und der mesopotamischen, sehr erfolgreich und durchgehend, in der indischen weniger, und in der chinesischen stieß es nach einer Weile auf ernste Schwierigkeiten, während in den griechischen Handelsstädten, deren Zivilisation sekundär war und daher keiner Priesterschaft während ihrer formativen Phase Zeit zu ihrer Festigung auf allen gesellschaftlichen Ebenen gelassen hatte, ein auffällig plötzlicher Aufschwung und eine rasche Vollbewußtheit der gerade zum gesellschaftlichen Phänomen gewordenen ~ zu beobachten war.
2) Der Handel als wichtigste Erwerbsquelle großen Stils erzieht zur Abstraktion aller Waren auf ihren Wert, weil nur so Verluste vermieden und Gewinne angehäuft werden können. (Die Basis dieser Erwerbsart war der militärisch flankierte Seetransport über lange Strecken.) Mit dem Münzgeld wird diese Abstraktion gefördert und erreicht leichter Routine. Dazu paßt, daß der erste – und lange beibehaltene – Hauptgegenstand der ~ die Suche nach dem Grundstoff, später den Grundstoffen, war, auf welche sich alle anderen Stoffe und Erscheinungen reduzieren lassen (bzw. aus jenem oder jenen entstanden sind). Deshalb werden die ersten eindeutigen Vertreter der ~ meist »ionische Naturphilosophen« genannt. So spekulativ ihre substanziellen Antworten auch ausfallen (und das wegen des niedrigen Standes der Technik auch müssen), so beharrlich verfolgen sie ihren Ansatz (der wenige Generationen später immerhin zur grundsätzlich zutreffenden Atomtheorie führte). Bemerkenswert ist auch die Konzentration auf die »Natur«, d.h. jene Umgebung neben jeder sozialen, die erstens am umfassendsten, zweitens am wenigsten mit anerzogenen Wahrnehmungseinschränkungen belastet ist. Deshalb gelangten Vertreter der ~ auch häufig und bald zu grundlegender Kritik an religiösen Vorstellungen, denen keine frühere an die Seite gestellt werden kann.
Indem die ~ zu von Machthaberseite unerwünschten Ergebnissen führen kann, also zur Ideologiekritik, in deren Zentrum gerade die aktuell herrschaftsstützende Ideologie steht (daher sehr oft die Religion), ist sie bald nach ihrer Entstehung von Fälschung bedroht: Personen, die generelle Übersicht zu liefern versprechen, diese aber in einem jeweils herrschaftsstützenden Sinne einengen, verbiegen oder sogar zerstören, können mit dem Wohlwollen der und daher der Förderung durch die zeitgenössischen Herrschaftsträger rechnen, ihre entsprechende Fälschung daher als besonders »tiefe«, »geniale« oder »gelungene« ~ angepriesen werden. Diese Gefahr hat sich verschärft, seit die aus der ~ entstandene Wissenschaft sich verselbständigt hat und ihr der Rest aller zum Maximum strebenden Übersichtsbemühungen – als von nun an »eigentliche« – ~ entgegengestellt werden kann.
Da das Streben nach Übersicht dieser selbst notwendigerweise vorangehen muß, erklärt sich die extreme Heterogenität der in originaler oder vorgetäuschter ~ anzutreffenden Gegenstände, welche unter der behaupteten Zielsetzung gedanklich bearbeitet werden.
Mit ~ bezeichnen seit vielen Jahrzehnten mächtige Firmen die Gesamtheit ihrer – zumindest behaupteten – Handlungsgrundsätze, die nicht oder wenigstens nicht unmittelbar aus ihrer ökonomischen Zielsetzung, die sie alleine zur Firma macht, hervorgehen. Normalerweise begründen diese Firmen den Anspruch ihrer Träger, ihre Abhängigen auch über den geschäftlichen Bereich bzw. deren Pflichterfüllung innerhalb desselben hinaus zu kontrollieren, nach Möglichkeit als Persönlichkeit auszuschalten und umfassend zu beherrschen. Dies erklärt, warum sie in Firmen mit geringer oder keiner Macht nicht vorkommt; verfolgen diese dennoch analoge Ziele, so sind sie nur mit Unterstützung der Staatsmacht dazu in der Lage, weshalb in diesem Falle von (staatlich gesichertem, also »gesetzlichem«) »Tendenzschutz« und nicht von »Firmen~« gesprochen wird.
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