Erlösungsreligion: Eine Religion, deren Schwerpunkt in der Anwendung von Methoden besteht, die andernfalls dauerhaft an unerträgliche Bedingungen gebundene »Seele« unter erheblich günstigere, ebenso dauerhafte zu versetzen.
Die ersten, etwa gleichzeitig entstandenen ~en sind Buddhismus und Jainismus. Ihr Erlösungsbegriff (sanskr. moksha) ist dem Hinduismus entnommen, wo er nur eine vorübergehende, alsbald jedoch durch eine günstige Wiedergeburt abgelöste Beendigung allen Leidens des betroffenen Individuums mittels Tod bedeutete, der allerdings das – vorübergehend körperlos gewordene – Subjekt (»Seele«) nicht auslöschte. Das buddhistische Konzept hat auf das hinduistische vielfach zurückgewirkt, jedoch nie einheitlich und meist nur lokal. Dagegen ist die hinduistische Vorstellung von individuell unsterblichen Seelen fast gänzlich in den Buddhismus zurückgekehrt, der sie ursprünglich überwunden hatte und unter »Erlösung« die Verringerung bis langfristige Auslöschung des Gesamtleidens aller Lebewesen verstand, welches durch deren Bindung an Bedürfnisse hervorgerufen werde. Nur im Therawada-Buddhismus (=Hinayana) lebt dieses ursprüngliche Konzept noch – meist verwässert – fort; es besaß gegenüber dem archaischen des Hinduismus offenbar eine zu geringe Attraktivität. – Konzeption und Entwicklung des Jainismus sind ähnlich, doch von Anbeginn radikaler; zentrales Erlösungsmittel ist in ihm der absolute Gewaltverzicht (ahimsa), im Buddhismus nur der »achtfache Pfad«, in der Praxis bald eine dehnbare Hohlformel. Mit dem Niedergang der hellenistischen Staaten entstehen auch dort zahlreiche ~en (deren mögliche Anlehnung an den Buddhismus umstritten ist; unstrittig bleibt ihre Ableitung ihres »Erlösungs«konzeptes aus Platos Theorie vom »Körper als Gefängnis der Seele«, welche von diesem etwa gleichzeitig zu der Entstehung der beiden ersten ~en formuliert worden war). Diese sammeln sich zunächst als locker organisierte, später »gnostisch« genannte Gemeinden, deren Erlösungskonzept von zahlreichen Mysterienkulten (z.B. Isis- und Attiskult) weitgehend übernommen wird. Es bildet auch von Anfang an das konzeptuelle Rückgrat des von Paulus geschaffenen Christentums, der es sofort mit mysterienreligiösen, zentral an den Dionysoskult angelehnten Konzepten verschmilzt (»Dies ist mein Leib«, dessen rituell und spirituell korrekter Verzehr bzw. das entsprechende Bluttrinken die Erlösung bewirken bzw. entscheidend unterstützen soll.) Dabei überschreibt Paulus seinen hellenistischen Erlösungsbegriff (σωτηρία) auf den jüdischen »Erlöser« (מוֹשׁיע), welcher aber eine völlig andere Aufgabe hatte, nämlich die konkrete, wenn auch wundersam unterstützte kollektive Befreiung von nationaler Fremdherrschaft; Paulus und somit das Christentum verwenden den Begriff aber analog zum buddhistischen und jainistischen, also individuell und metaphysisch. Dieses Konzept setzt sich auch in der konsequentesten ~ fort, dem Manichäïsmus, welcher eine bewußte Synthese aus christlichen, zoroastrischen und jainistischen (nicht, wie oft zu lesen, buddhistischen) Konzepten unternimmt, um eine möglichst geschlossene, in sich widerspruchsfreie ~ zu schaffen.
~en entstehen als individualistische Antithesen zu Stammesreligionen und deren Derivaten (Hinduismus und Judentum), welche primär kollektiv orientiert sind. Diese nehmen zwar unter dem Einfluß von ~en oft Elemente von letzteren auf, lösen sich aber nie völlig von ihren »diesseitig«-kollektiven Ursprüngen. Die Lösung wiederum von diesen (Familie, Stamm, Gesellschaft) macht die eigentliche, freilich metaphysisch verhüllte Attraktion der ~en aus; trotzdem bleibt sie unverkennbar deren eigentliches Freiheitsversprechen, tatsächlicher Inhalt der versprochenen »Erlösung«. Als Mittel der Erlösung werden daher immer Besitzlosigkeit oder wenigstens Anspruchslosigkeit sowie sexuelle Enthaltsamkeit angegeben; die Perversion aller ~en entsteht folglich stets aus deren bei größeren Missionserfolgen unvermeidlichen Tendenzen, diese Mittel mit den fortbestehenden gesellschaftlichen Forderungen, denen sie ja gerade zu entrinnen versprochen hatten, einigermaßen zu harmonisieren. Dies geschieht gewöhnlich durch die Akzentverschiebung auf Riten als Erlösungsmittel (ein Ziel, das diese in Stammesreligionen und deren Derivaten nie verfolgten; Reinigung, z.B. von konkreter Blutschuld, ist etwas anderes und stets temporär und ohne Jenseitsausrichtung) oder durch Abschiebung der zu Erlösungszwecken zentral nötigen Verzichte auf alimentierte Spezialisten (Mönche, Asketen), ein eigentlich absurdes, jedoch von den Umständen meist nahegelegtes Verfahren. ~en setzen daher den abgeschlossenen Untergang der Stammesgesellschaft zu ihrer Entstehung voraus, dazu eine erhebliche Zivilisationshöhe und gesellschaftliche Aussichtslosigkeit für die meisten oder wenigstens sehr viele Individuen.
Der Islam hat zwar bei mindestens einer ~ Anleihen gemacht, nämlich dem Christentum und seinem Konzept der »himmlischen Seligkeit« vs. »ewiger Verdammnis«; faktisch hat er aber stammesreligiöse Grundlagen beibehalten, das Konzept der ~ ist ihm nur übergestülpt und dominiert ihn nicht. Folglich spielt die typisch elösungsreligiöse Askese zwecks stufenweiser Entweltlichung in ihm keine oder nur eine geringe Rolle; ebenso fehlt das Mönchtum in ihm oder bleibt unterentwickelt. Für das Judentum galt und gilt Ähnliches; es ist daher von allen größeren Religionen dem Islam am ähnlichsten. Für das Christentum hat der Calvinismus die Konsequenzen der ~ am stärksten abzuschneiden versucht, indem er die Entscheidung über »Erlösung« oder »Verdammnis« vor die Geburt der Individuen (bzw. vor die »Erschaffung der Welt«) verlagerte (»Prädestination«); er wird daher die dem Judentum und Islam ähnlichste Fraktion des Christentums und begegnet diesen beiden Religionen historisch viel freundlicher als dessen andere Fraktionen. Unter christlichem Einfluß hat das Wort ~ bisweilen auch die Bedeutung angenommen: »Religion, welche die 'Rettung der Seele' von der Befolgung von Gesetzen unabhängig macht«, wobei »Gesetze« die – insbesondere biblischen, also jüdischen – Verhaltensvorschriften für Alltagsleben und Kulthandlung bedeuten kann, aber auch allgemeine Moralgesetze (deren Bruch auch in schwersten Fällen bei entsprechender »innerer Umkehr« [μετάνοια] die »Erlösung« nicht beeinflußt, ihr gegenüber also unwesentlich ist). Auch der Buddhismus kennt analoge Entwicklungen; es bleibt aber klar, daß das, wovon »erlöst« werden soll, in letzter Instanz der gesellschaftliche Druck mit seinen diversen Vermittlungsinstanzen (Familie, Priesterschaften u.ä.) sein muß. Subjektiv kann diese Zurückweisung gesellschaftlichen Drucks und entsprechender Forderungen also sehr wohl in einem »erlösenden« Rückgang des durch diese provozierten Schuldgefühls resultieren; allerdings kann dieses individuell mit vergrößerter Wucht zurückkehren, weshalb in allen ~en der von diesen als Erlösungsinstrument eingesetzte Verzicht immer wieder in Akte aktiver Selbstquälerei und Selbstbestrafung umschlagen kann.