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Volk
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Volk: (lat. natio, »Nation« von nasci »geboren werden; [unabsichtlich aus etwas] entstehen«): Gesamtheit von Menschen, die sich als distinkte und zugleich nicht absichtlich hergestellte Kommunikationseinheit empfinden (v.a. durch die gemeinsame Sprache) und von anderen auch so empfunden und behandelt werden.
In den Begriff des ~es sind spätestens seit dreihundert Jahren ideologische Elemente eingeflossen; die Selbstbezeichnung einer Menschengruppe als ~ soll nämlich entweder Eigenstaatlichkeit legitimieren oder den Anspruch auf diese unterstützen; sie soll auch durch Betonung – angeblicher oder wirklicher – gemeinsamer Traditionen und sprachlicher Verwandtschaft die Herstellung staatlicher Einheit begründen, insbesondere gegen feudale Zersplitterung.
     Der reale Kern des ~sbegriffs ist die sprachliche Einheit, welche durch langwährende Verkehrsgemeinschaft entsteht; da diese Verkehrsgemeinschaft auch überdurchschnittlich häufig Paarungen innerhalb derselben verglichen mit Paarungen von Mitgliedern verschiedener Verkehrsgemeinschaften hervorruft, besteht innerhalb eines ~es gewöhnlich auch eine durchschnittlich größere biologische (= genetische) Gemeinsamkeit als zwischen zwei zufällig verglichenen Mitgliedern verschiedener Völker. Dies hat – als Postulat der Abstammungsgemeinschaft, wie sie z.B. die altorientalische oder die griechische Mythologie in naiver Weise für ~er voraussetzt – vor allem im 19. Jahrhundert oft zur Gleichsetzung von ~ und Rasse geführt. Dem steht entgegen, daß Rassen (= Unterarten) eine viel stärkere geographische und daher sexuelle Isolation aufweisen müssen, um als solche gelten zu können, als sie bei ~ern normalerweise anzutreffen ist.
     Der reale Kern des ~sbegriffs ist ausschließlich die in der gemeinsamen Sprache niedergeschlagene längere Verkehrsgemeinschaft sowie das distinkte kollektive Erleben über längere Zeiträume (»Schicksalsgemeinschaft«), wie es eine echte Eigenstaatlichkeit nach einigen Generationen in jedem Fall bewirkt. Damit könnte der Fall abgeschlossen sein, wenn nicht das Einsickern normativer Elemente in die beschriebene Realität unauflösliche Verwirrung hineintrüge:

  1. Von bestehenden Völkern können sich Teile abspalten und zu einem Staat zusammenschließen. Besteht dieser längere Zeit und bietet ferner dadurch seinen Bewohnern Vorteile gegenüber der Zugehörigkeit zu ihren jeweiligen Ursprungsvölkern, wird daher also von ihnen bejaht und gegenüber der früheren Verkehrseinheit als vorrangig empfunden, so werden diese eine neue ~szugehörigkeit behaupten. Realer Kern derselben ist in diesem Fall freilich ausschließlich das kontinuierliche aktive und passive Erleben der Eigenstaatlichkeit, wodurch der ~sbegriff mit der subjektiven Seite der Eigenstaatlichkeit zusammenfällt; ihm darüber hinaus objektiven Gehalt zuzuschreiben, hätte ideologischen Charakter. Das klassische Beispiel für diesen – formalen oder ideologisierten – ~sbegriff bietet die Schweiz.

  2. Das gleiche Volk kann durch politische Entwicklung konfessionell oder nach der Gesellschaftsform in homogene Siedlungsgebiete gespalten werden, von deren Bewohnern ein Teil die Eigenstaatlichkeit der Gegenseite unter Berufung auf die Normativität des ~sbegriffs rückgängig machen will (so der Fall Deutschlands; der gegen den Primat der Gesellschaftsordnung ausgespielte Primat der Nation bzw. der ~szugehörigkeit hatte also tendenziell regressiven Charakter) oder aber dessen ~szugehörigkeit gerade bestreitet (so im Falle Jugoslawiens, dessen katholischer Teil die ~szugehörigkeit des orthodoxen Teiles leugnet; hier hat die Leugnung der ~seinheit gerade regressiven Charakter, weil sie vom Primat der Religion über den Primat der Nation ausgeht und in der Folge ein ideologisches [= metaphysisches sensu Marx] Element in den ~sbegriff hineinträgt; in diesem Falle hätte der Nationalismus also gerade progressiven Charakter, ähnlich wie im Falle Frankreichs und Deutschlands im 18.–19. Jahrhundert, als der Primat der Nation gegenüber dem Primat feudaler Eigentumsrechte behauptet wurde).

  3. Sprachlich ähnliche, aber darin leidlich distinkte Teile eines ~es werden als »Stämme« bezeichnet; ihre relative Distinktion ist, wie jede sprachliche Distinktion, durch Verkehrseinheit entstanden, in Europa und Nordindien gewöhnlich durch Feudalbesitz mit daraus folgender Verwaltungseinheit. Gelangt ein solcher Stamm zur Eigenstaatlichkeit, so wird er sich als »~« bezeichnen und seinen Dialekt als »Sprache«; im deutschen Raum gibt es zwei markante, in gewisser Weise konträre Beispiele: die Niederlande (durch Bestreitung feudaler Ansprüche) und Österreich (durch Verteidigung feudaler Ansprüche). [Das Ausbleiben des Anspruchs auf Eigensprachlichkeit des österreichischen Dialekts im Gegensatz zum niederländisch-flämischen hängt mit dem späten Zeitpunkt der Abspaltung eines einheitssprachlichen österreichischen Staates zusammen, d.h. der fortgeschrittenen Alphabetisierung im gesamten deutschen Sprachraum sowie der schon lange gefestigten schriftsprachlichen Einheit und ausgedehnten Literatur in dieser Einheitssprache.]

In neuester Zeit beeinflußt die Ausbreitung des Monoimperialismus die Konnotation des ~sbegriffs. Er wird gerne und dann oft rabiat als ideologisch (»faschistisch«, rückständig usw.) denunziert, wenn er mit dem Bestehen auf Eigenstaatlichkeit gegen monoimperialistische Fremdherrschaft verknüpft wird, dagegen liebevoll bis mystisch-irrational gefördert, wenn er dem Monoimperialismus nützlichen separatistischen Bewegungen dient oder Rückständigkeiten auch Inhumanitäten zu fördern sucht, deren Erhalt monoimperialistischen Zielen nützen kann.
     Die Undeutlichkeit des ~sbegriffs ist demnach im beobachtbaren Einsatz praktisch immer ideologisch verursacht, die Ideologien durch divergierende einheitsstaatliche vs. separat-staatliche Ansprüche begründet. Durch ausschließliche Verwendung der hier gegebenen Definition kann die dem Begriff ~ gewöhnlich inhärente metaphysische Verzerrung bzw. Belastung vermieden werden. Die Unschärfe des Begriffs ist jedoch durch sein Wesen gegeben, da für die Gewohnheitsfestigung, mit der die Zugehörigkeitsempfindung zu einer Kommunikationseinheit automatisiert wird, kein präzises Maß gegeben werden kann.
     Außerdem wird der Begriff ~ auch dazu verwendet, die individuell Mächtigen von den zumindest individuell in der Gesamtgesellschaft bzw. dem Staat Machtlosen zu unterscheiden; letztere heißen dann »das ~« und werden mit diesem Ausdruck ihren Führern, Herrschern, Besitzenden usw. gegenübergestellt.


 
 
 

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