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Strafe: (lat. poena, daher das dt. Wort »Pein«): Zufügung einer Unannehmlichkeit mit der Absicht, Unterlassungen zu erzwingen, wobei dem Subjekt, dem diese Unannehmlichkeit zugefügt wird, der Zusammenhang zwischen der von ihm begangenen Handlung, deren Unterlassung gewünscht wird, und der zugefügten Unannehmlichkeit bekannt sein muß.
     Alle ernsten ~n, jedenfalls soweit sie an im Vollbesitz ihrer Rechte befindlichen Staatsbürgern bzw. Gesellschaftsmitgliedern vollzogen werden, hat die Gesellschaft, meist durch befugte Repräsentanten vertreten, schon frühzeitig zu monopolisieren versucht. Wird die Verhängung von ~n der Willkür (dem »Ermessen«) einzelner Bevollmächtigter (Könige, Grafen, Scheiche usw.) entzogen und einheitlich-verbindlich geregelt (durch Gesetz, welches sich damit über den Brauch erhebt, auch dann, wenn es ihn inhaltlich nur fortsetzt), so kann sie als Teil des Gesellschaftsvertrags betrachtet werden (es gilt von nun an die Regel »nulla poena sine lege« [keine Strafe ohne Gesetz]). Sie wird dadurch rationaler Kalkulation zugänglich. In diesem Fall wird bei ihrer Zielsetzung stets sowohl die »Spezialprävention« wie die »Generalprävention« unterschieden, welche in unterschiedlichem Maße durch jede Strafe bewirkt werden, nämlich die mutmaßliche Steigerung der Unterlassungsrate der bestraften Handlung bei dem Individuum, welches sie begangen hat, sowie bei den Subjekten, welche von der Durchführung dieser Strafe Kunde erhalten. Diese Wirkung heißt Abschreckung. Besteht die ~ in der Tötung oder lebenslänglichen Gefangensetzung des Individuums, von welchem man die Unterlassung einer bestimmten Handlung erreichen will, so ist nur die Generalprävention als eigentliche Strafwirkung zu betrachten; daß das getötete Individuum die beanstandete Handlung unterlassen wird, die Spezialprävention also in der Sache absolut sein wird, ist nicht einer Motivationsänderung des getöteten oder bis zum Tode eingekerkerten Individuums zuzuschreiben, welche durch die ~ bewirkt werden sollte, sondern ausschließlich seiner künstlich hergestellten Unfähigkeit zur Handlungsdurchführung. In bezug auf die Gesellschaft bewahrt die Todes~ oder Haft bis zum Tode also durchaus ihren Charakter als ~, in bezug auf das betroffene Individuum muß sie jedoch als Maßnahme, synonym Maßregel, gelten.
     Strafe und Maßregel sind stets zu unterscheiden, da die Maßregel das Begehen der Handlung, die unterdrückt werden soll, durch das betroffene Individuum nicht voraussetzt, eine rationale und sichere Kalkulation seiner Handlungen ihm also im Gegensatz zur Strafandrohung grundsätzlich unmöglich wird (z.B. können Gruppen oder Individuen, von denen man bestimmte Handlungen, deren Unterlassung gewünscht wird, etwa die Verbreitung regierungskritischer Argumente, häufiger als von anderen Gruppen erwartet, präventiv mit Sondersteuern belegt, verhaftet oder getötet werden; da die Handlung, deren Unterlassung gewünscht wurde, weder eingetreten sein muß noch den vom staatlichen Eingriff Betroffenen dessen Grund obligatorisch mitgeteilt wird, liegt in einem solchen Fall eine Maßnahme und keine Strafe vor.) Deshalb ist für einen Rechtsstaat typisch, daß er Maßregeln nur gegen Individuen vorsieht, deren Zurechnungs- und daher Kalkulationsfähigkeit eingeschränkt ist, während die Tendenz zu Maßregeln statt ~n für den Unrechtsstaat charakteristisch ist; so ist ja auch die Folter eine Maßnahme (gewöhnlich zur Erlangung von Informationen, nie zur Unterlassung begangener Handlungen) und keine ~, so sehr fakultativ die gleiche Zufügung gleicher Leiden als ~ eingesetzt werden kann. Der Unterschied zwischen ~ und Maßnahme kann auch dadurch verwischt und schließlich ganz zugunsten des Vorherrschens der Maßregel abgebaut werden, daß das Strafmaß immer dehnbarer gestaltet wird; im Extremfall kann schließlich jede den Machtträgern mißliebige Handlung mit einer maximalen Strafe belegt werden, die ihrerseits von denselben bzw. ihren Befugten teilweise bis vollständig erlassen werden kann – in diesem Fall ist aus dem drohenden oder durchgeführten gesellschaftlichen Eingriff substanziell eine Maßnahme geworden, auch wenn diese durch ihre Verknüpfung mit irgendeiner zu unterlassenden Handlung noch formal ihren Charakter als ~ bewahrt. Auch diese Verknüpfung läßt sich noch weiter schwächen, indem die Definition der mit ~ bedrohten Handlung so ausgedehnt wird, daß sie der Masse aller überhaupt aktiven Individuen nachgewiesen werden kann, wobei die Einleitung des zur ~ führenden Prozesses dem Ermessen der machttragenden Einrichtungen überlassen bleibt. Diese beiden Bahnen der Transformation von ~n in Maßnahmen dürften zu den wichtigsten Wegen der Metamorphose des Rechtsstaates in einen Unrechtsstaat gehören; das Maß ihrer Verwirklichung bietet auch besonders valide Diagnostika zur Feststellung der Fortgeschrittenheit bzw. des Fehlens dieses Prozesses.
     Mit dem Gedanken der ~ hat sich von Anfang an ein Wust irrationaler Ideen verbunden; noch bei Kant und Hegel dominieren abergläubische und metaphysische Konzepte vollständig (etwa der als eine Art Fetisch sensu Marx verstandenen, halbherzig als Substanz konzipierten kosmischen Gerechtigkeit, die es, je nach Blickwinkel, aufzufüllen oder abzubauen gelte, usw.). Erst ab der Mitte des 19. Jhds dringen vernunftgeleitete Gedanken in den betroffenen Bereich ein, deren Dominanz über prälogische und irrationale (wenngleich oft aufwendig rationalisierte) Vorstellungen bis heute bedroht ist und mit dem allgemeinen Rückgang der Eigentumsstreuung zugunsten mittelalterlicher Rückfälle immer weiter bedroht wird.
     Eine umfassende empirische Erforschung der Wirkung von ~ bzw. deren natürlicher und wohl unwandelbarer Mechanik hat die Lerntheorie geleistet. Sie dehnt dabei den Begriff der Strafe auf jede Unannehmlichkeit aus, die zusammen mit einem eigenen Verhalten wahrgenommen wurde (Kontingenz), und zwar aus dem historischen Grund, weil in den entsprechenden Tierversuchsanordnungen die eintretende Unannehmlichkeit wie eine wirkliche ~ durch den Willen eines Subjekts, nämlich des Versuchsleiters, herbeigeführt wurde. Das war (und bleibt) für ihre Wirkung aber unerheblich, da dem Versuchsobjekt dieser Zusammenhang unbekannt bleiben mußte (und von ihm normalerweise sogar andernfalls nicht hätte verstanden werden können). Im Begriffssystem der Lerntheorie ist also jede Unannehmlichkeit, die im Zusammenhang mit eigenen Handlungen wahrgenommen wurde, eine ~, auch wenn sie gewöhnlich nur eine Folge der Eigenschaften der Dinge selbst war; ~ im Sinne der stärker eingeschränkten und eingangs definierten üblichen Bedeutung stellt in dieser Sicht nur einen komplizierten, auf kognitiv hoch entwickelte gesellig lebende Tiere beschränkten Sonderfall dar. Mit dem absichtlichen Verhängen von ~n tritt die Gesellschaft somit auf breiter Basis in Konkurrenz zur Natur. 


 
 
 

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